Ruhr Nachrichten, 27. September 2011
Von Hannah Schmidt
Bevor er sich am 28. September aufmacht, im Dom zu Speyer vor über 2000 Zuhörern zu spielen, schaute der amerikanische Organist, der „perfekte Virtuose“ Stephen Tharp am Sonntag in Brackel vorbei.
In der voll besuchten Kirche interpretierte Tharp über 90 Minuten Orgelmusik der Neuen Moderne – in erstklassiger Art und Weise. Der zu Beginn des Konzertes vorgelesenen Legende zufolge war es die Musik, die es Gott überhaupt erst möglich machte, der Lehmfigur „Mensch“ Leben einzuhauchen. „Musik hat die Kraft, Seelen zu erheben“, schließt die Geschichte.
Seelen erhoben Wie viele Seelen sich in diesen eineinhalb Stunden erhoben haben mögen, bleibt unergründbar. Dass sich nach Ende des Konzertes aber die Zuhörer erhoben haben, um stehend zu applaudieren und ebenfalls stehend der virtuosen Zugabe zu lauschen, ist wahr. A propos „virtuos“: Tharps Programm umfasste Mulets „Tu es Petrus“, die komplette Orgelsonate No. 8 von Guilmant und Liszts „Funérailles“, das eigens arrangierte „Intermezzo in A-Dur“ von Johannes Brahms sowie das von ihm in Auftrag gegebene und ihm gewidmete „Variations on ’Rouen“ von George Baker. Präzision und Dynamik Auch Gabriel Fauré fand mit seiner „Pavane Op. 50“ Platz in dem Konzert. „Frische Ideen von lebenden Komponisten“, sagt Tharp, forderten ihn und das Instrument immer neu heraus. Die Neue Musik sei deshalb seine Leidenschaft. In seinem Spiel verschmelzen mustergültig Professionalität und Leidenschaft zu Musik und Dramatik. Mit unglaublicher Präzision und Dynamik meistert er schnellste Läufe in der Hand sowie im Fuß, hält er die Spannung zwischen Dissonanzen und ihren Auflösungen – oder nicht-Auflösungen – aus. Das eine oder andere Stück spielt er auswendig. "Übe-Instrument" Die „Poetischen und religiösen Harmonien“ von Franz Liszt waren in diesem Zusammenhang der virtuose Höhepunkt des Abends. Wie es überhaupt dazu kam, dass Tharp in Brackel spielte, ist eine erwähnenswerte Geschichte: Vor einigen Jahren heiratete er die ehemalige Organistin der St. Clemens-Kirche in Brackel. Seitdem ist die Sauer-Orgel in dieser Kirche sein „Übe-Instrument“ und er beteuert. „Keines kenne ich besser“.
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